Was wir gelernt, worüber wir gelacht und was wir verges­sen haben – und was wir ganz bestimmt nicht noch­mal machen. Jeden Frei­tag frisch aus dem Berli­ner Büro (und derzeit aus dem Homeoffice)

Knoten­an­ek­do­ten — Die Frei­tags­ko­lumne vom Netz­werk­kno­ten. Grafik: Karl Bredemeyer

Komm, ich erzähl‘ Dir eine Geschichte und die geht so: Ich habe keine Ahnung, worüber ich heute schrei­ben soll. Blank. Gleich­zei­tig habe ich mich commit­tet, einmal pro Woche Knoten­an­ek­do­ten in die Welt zu schie­ßen. Was wäre, wenn sie heute ausfie­len? Meine Kolleg*innen würden nach­fra­gen, was los ist, ich könnte sagen, mir fällt nichts ein oder ich könnte lügen und behaup­ten, ich hätte keine Zeit oder meine Finger wären alle zehn gebro­chen oder ich könnte einfach alles igno­rie­ren und in das Land meiner Vorfah­ren auswan­dern und dort Apri­ko­sen­schnaps bren­nen. Glaubt mir, bei hart­nä­cki­gen Schreib­blo­cka­den sind solche Phan­ta­sien nicht gänz­lich ungewöhnlich. 

Die Frage nach der Perspektive

Und doch habe ich mich commit­tet, nicht Apri­ko­sen­schnaps bren­nend an einem Fluss weit weg zu sitzen und mit einem Stock Muster in die Erde zu malen, sondern frei­tags diese Kolumne zu schrei­ben. Ich habe mich vor meinem Team dazu fest­ge­legt und da ich nun mal Teil des Teams bin auch vor mir selbst. Und genau das ist der verbind­li­che Teil des Commit­ments: Meine Kolleg*innen würden sich viel­leicht über mich ärgern, wenn ich mich hier heute nicht an die Abspra­che halte, viel­leicht wären sie enttäuscht über meine Unzu­ver­läs­sig­keit. Leser*innen würden sich viel­leicht kurz wundern. 

Ich sei bst hinge­gen würde den Verrat am eige­nen Commit­ment am deut­lichs­ten spüren. Mich auf keinen Fall wohl fühlen mit dem Ausfall. Kurzer Check: Ich rede hier nicht von Krank­heit, von Notfäl­len, von Urlaub, von zehn gebro­che­nen Fingern. Ich rede von dem, wovon wir nicht gern spre­chen: Von den Momen­ten, in denen uns unser Commit­ment nervt. Weil die Sonne scheint. Oder weil die eigene Einfalls­lo­sig­keit uns dumm fühlen lässt und wir nur dann moti­viert sind, wenn wir Erfolgs­chan­cen sehen. Weil wir manch­mal einfach nicht produk­tiv denken können. Weil irgend­je­mand diesen verdamm­ten Apri­ko­sen­schnaps bren­nen muss, wenn die Verwandt­schaft lang­sam zu zitt­rig dafür wird.

Natür­lich geht es hier nicht um meine Schreib­blo­ckade und auch nicht um Apri­ko­sen­schnaps. Es geht um den Kern dessen, was wir Verbind­lich­keit nennen. Ich zupfe mal das Haupt­wort aus diesem Begriff: „bind“, also Bindung, Band, binden. Das kann vieles bedeu­ten. Und hier kommt sie, die gute alte Perspek­tive mit ihren Wech­seln. Ohne Zwei­fel kann ich „Band“ als Fessel inter­pre­tie­ren. Als Ketten, die ich um meine Hand­ge­lenke schla­gen ließ, verdammt dazu, auf immer und ewig Kolum­nen am Frei­tag zu schrei­ben. Oder ich sehe es als Bindung, Bezie­hung also, die ich eigen­in­itia­tiv einge­gan­gen bin, bereit, zu kommu­ni­zie­ren, zu geben und zu bekom­men. Weil ich diese Kolumne, die ich selbst meinem Team vorge­schla­gen habe, gerne schreibe, einen Sinn darin sehe und sie teilen möchte, meinen Kolleg*innen, unsere Leser*innen und mir selbst entge­gen­komme, wenn ich dies mit einer gewis­sen Regel­mä­ßig­keit tue. Oder eben als eine Verbin­dung, eine Art des Kontakts, wie das Bindeglied. 

Ich tendiere dazu, Commit­ment als genau das zu betrach­ten: Ein Binde­glied, ein Stabi­li­sa­tor des Kontakts. Verän­der­bar in Größe und Form, lösbar, einfor­der­bar, aber nicht erzwing­bar. Der Unter­schied zur Pflicht ist, dass ich entschei­den kann, das Commit­ment zu lösen – zur Veran­schau­li­chung: Ich habe mich nicht dazu commi­tet, Steu­ern zu zahlen, sondern ich muss. Genauso wenig habe ich mich commi­tet, für mein Geld arbei­ten zu müssen. Sehr wohl habe ich mich dazu commi­tet, für den Netz­werk­kno­ten zu arbei­ten und dazu, diese Kolumne zu schrei­ben. Und noch einen Step tiefer: Ich habe mich mir selbst gegen­über dazu commi­tet, verbind­lich zu sein. Bei der Werte­ar­beit im Unter­neh­men konnte ich mich mit dem gemein­sa­men Wert Verbind­lich­keit iden­ti­fi­zie­ren. Ein weite­rer Wert ist übri­gens Aufrich­tig­keit. Heißt: Ich weiß ganz genau, dass ich ohne Probleme kund­tun kann, wenn ich diese Kolumne nicht mehr schrei­ben möchte. Ich will aber. 

Bei Zwei­feln hilft ein Blick nach innen – und auf den Gesetzestext

So, ich glaube der Punkt ist klar. Um zu iden­ti­fi­zie­ren, was Pflicht und was Commit­ment ist, guckt man am besten mal kurz nach innen und bei Zwei­feln in den Geset­zes­text. Commit­ment muss nicht jeden Tag Fun sein. Es ist häufig konkre­ter als Pflich­ten, dafür wähl­ba­rer. So darf ich mir zum Beispiel aussu­chen, wen ich konkret heirate und ob, ich darf aber nicht drei verschie­dene Perso­nen plus meinen Hund heira­ten. Oder: Ich kann mir aussu­chen, ob ich nur noch vegane Nahrungs­mit­tel oder nur noch Leber­wurst kaufe, aber nicht, ob ich dafür bezah­len will. Oder: Ich darf mir theo­re­tisch aussu­chen, ob ich Kolum­nen schreibe oder Knoten-Comics zeichne, aber nicht, ob ich Daten aus der Firma an Dritte verkaufe. 

Die Moral der Geschichte ist, dass hinter dem drohen­den „Du musst“ ganz häufig ein „Du hast dich commi­tet“ steht. Gerade wenn sehr viel auf einmal ansteht, scheint das zu verschwim­men. Genau dann kann diese Unter­schei­dung hilf­reich sein, um sich des eige­nen Hand­lungs­spiel­raums bewusst zu werden und befrie­di­gende Antwor­ten auf die Frage nach dem Wozu zu beant­wor­ten. Und dann kann man sich immer noch dazu entschei­den, Apri­ko­sen­schnaps zu bren­nen oder alter­na­tiv eine Kolumne zu schrei­ben und danach Apri­ko­sen am See zu essen. Schö­nes Wochenende!