„Mich hat gar keiner infor­miert“, „Es wird sich doch eh nichts ändern“ oder „Früher haben wir das schon gemacht, nur hat es keiner so genannt“ – sicher­lich alles bekannte Aussa­gen während eines Verän­de­rungs­pro­zes­ses, sei es ein Umzug in ein neues Gebäude, eine Migra­tion auf ein ande­res Admi­nis­tra­ti­ons­tool oder eine Zusam­men­le­gung zweier Abtei­lun­gen. Doch was steckt wirk­lich dahin­ter? Ist es ein Nicht-Wollen? Ist es eine Verän­de­rungs­mü­dig­keit? Oder sind es ledig­lich natür­li­che Ausprä­gun­gen der eige­nen Wertelandschaft?

Was machen Werte?

Genau diese Frage habe ich mir im Zuge meines letz­ten Projek­tes gestellt und dazu eine Antwort in dem Modell der eige­nen Land­karte des Konstruk­ti­vis­mus gefun­den. Jeder Mensch hat eine ganz eigene Wahr­neh­mung von der Reali­tät. Ausge­hend von prägen­den Lebens­er­eig­nis­sen, Erfah­run­gen und Wissen, was ich mir ange­eig­net habe, baue ich mir Erklä­rungs­for­men und Bewer­tungs­sche­mata, mit denen ich meine Sinnes­wahr­neh­mun­gen der Umwelt einordne. Auch mit sehr ähnli­chen Lebens­läu­fen oder Inter­es­sens­ge­bie­ten sehen die Land­kar­ten eines jeden Menschen ganz indi­vi­du­ell aus. Je nach Einord­nung und Erfah­rungs­schatz habe ich einen ganz spezi­el­len Verhal­tens- und Reak­ti­ons­spiel­raum. Dieser kann sich natür­lich im Laufe des Lebens ändern. Eine Drei­jäh­rige wird anders reagie­ren als ihr Ich als 14-Jährige oder dann als 53-Jährige. Und trotz­dem wird ein Teil der Land­karte bei allen drei Vari­an­ten dieser Frau sehr ähnlich blei­ben, nämlich der Teil ihrer Werte.

Ich, meine Werte und die Veränderung

Sie sind also so essen­zi­ell und prägend im eige­nen Reper­toire an Denk­mus­tern, Verhal­tens­wei­sen und Inter­pre­ta­ti­ons­bil­dern, dass wir sie nur schwer ausschal­ten können. Das bedeu­tet auch, dass wir in Situa­tio­nen der Insta­bi­li­tät, wie sie eine Verän­de­rung meist verur­sacht, ganz natür­lich nach unse­ren Werten handeln und reagie­ren. Sind mir zum Beispiel die Werte Verbin­dung und Gemein­schaft sehr wich­tig, dann werde ich mich wahr­schein­lich sehr nach einer Gruppe ausrich­ten oder das Bedürf­nis haben, eine Koali­tion zu schaf­fen. Sind mir die Werte Sicher­heit und Stabi­li­tät wich­tig, werde ich wahr­schein­lich sehr viel daran­set­zen, viel Bekann­tes und Lieb­ge­won­ne­nes beizu­be­hal­ten. Sind mir die Werte Auto­no­mie und Frei­heit sehr wich­tig, wird es mir wahr­schein­lich nicht leicht­fal­len, Vorga­ben zu folgen oder mich einer Grup­pen­be­we­gung anzu­schlie­ßen. Sind mir die Werte Weiter­ent­wick­lung und Fort­schritt sehr wich­tig, werde ich große Freude haben, Altbe­kann­tes über Bord zu werfen und viel Neues in meinem Leben will­kom­men zu heißen. 

Jedes dieser Werte­bei­spiele hat seine volle Daseins­be­rech­ti­gung und damit auch das einher­ge­hende Verhal­ten. Die Frage, die sich mir hier­bei stellt, ist, wie bekom­men wir es hin in Verän­de­rungs­pro­zes­sen genau diese Verhal­tens­wei­sen in ihren Poten­zia­len, die sie schöp­fen könn­ten, nutzen zu können.

Werte in der Unternehmenskultur

In meiner Vorstel­lung beschreibt Unter­neh­mens­kul­tur in ihren ganz wesent­li­chen Eigen­schaf­ten geteilte Werte und damit einher­ge­hend gemein­sam etablierte Verhal­tens­mus­ter und Rituale. Das kann sich dann natür­lich auch in Prozes­sen, Struk­tu­ren, Meetings und Zahlen abbil­den, aber im Wesent­li­chen sind es Vorstel­lun­gen davon, was inner­halb des Unter­neh­mens wich­tig ist und worauf wir uns eini­gen. Es sind unsere Leit­prin­zi­pien. Dabei ist es für mich eine sich gegen­sei­tig bedin­gende Entwick­lung: Ich bringe meine ganz eige­nen Vorstel­lun­gen mit ins Unter­neh­men und verhandle dann, inwie­weit ich mich in dem Ange­bot an Werten wieder­finde und wie ich das Vorhan­dene durch meine eige­nen Werte noch berei­chere oder verän­dere. Kultur­ent­wick­lung ist also ein steti­ger Prozess. 

Was nun, wenn von jetzt auf gleich ein ande­rer Soll­zu­stand beschrie­ben wird, wie es ja meist in Verän­de­rungs­pro­zes­sen der Fall ist? Nun ja, je nach­dem wieviel Werte in der geteil­ten Kultur Verän­de­run­gen unter­stüt­zen und wieviel Verän­de­rungs-ressour­cen jede einzelne Mitar­bei­tende noch in ihrem rest­li­chen Werte­schatz parat hält, kann dies flie­ßen­der der Fall sein oder eben sehr viel Irri­ta­tion und je nach Vorlie­ben auch Wider­stände auslö­sen. Hier stellt sich mir die Frage, wie schaf­fen wir es, trotz eines Ziel­bil­des, das von dem heuti­gen abweicht, einen Verän­de­rungs­pro­zess zu etablie­ren, der es jeder Mitar­bei­ten­den möglich macht, den Weg mitzu­ge­hen — gege­be­nen­falls auch auf ande­ren Wegen?

Werte­ori­en­tierte Veränderungsprozesse

Es mag nun sehr weich klin­gen und hat im ersten Moment auch noch nicht viel mit meinen sonst so gefei­er­ten mess­ba­ren Krite­rien in Verän­de­rungs­pro­zes­sen zu tun, und trotz­dem möchte ich die These wagen, dass Werte für eine erfolg­rei­che Trans­for­ma­tion ein Schlüs­sel­fak­tor sind. Sich den eige­nen Werten bewusst zu sein, die eige­nen Stär­ken und Ressour­cen dadurch sicht­bar zu haben und dann auch noch die geteil­ten Werte zu nutzen, um diese in die Ziel­bild­an­spra­che zu inte­grie­ren, schafft eine größere Verbind­lich­keit und eine höhere Iden­ti­fi­ka­tion mit der Verän­de­rung. Das wieder­rum schafft Platz für nach­hal­tige Moti­va­tion. Je früher wir einen Weg finden, sie stets und stän­dig will­kom­men zu heißen und sie in unser Werte­sys­tem einzu­flech­ten, desto mehr Ener­gie haben wir für die Gestal­tung der Inhalte zur Verfü­gung. Verän­de­rung ist nie vorbei.

In unse­rem Online Semi­nar „Einfüh­rung zum Syste­mi­schen Agile Coach“ gibt es unter ande­rem im ersten Modul die Möglich­keit, nicht nur die eige­nen Werte, sondern auch die eigene Land­karte kennenzulernen.