Die Stacey Matrix gehört in agilen Einfüh­rungs­ver­an­stal­tun­gen zum guten Ton, beschreibt sie doch wie kaum eine andere Visua­li­sie­rung die Auswir­kun­gen von indi­vi­du­el­ler werden­den Nutzer­an­for­de­run­gen und tech­no­lo­gi­schem Fortschritt.

Matrix nach Ralph Douglas Stacey

Die Grund­idee ist schnell erklärt: Befinde ich mich mit meiner Orga­ni­sa­tion in einem Umfeld, in dem die Nutzer­an­for­de­run­gen klar sind und ich mit bekann­ten Tech­no­lo­gien arbei­ten kann, so komme ich sehr wahr­schein­lich gut mit den bisher einge­setz­ten Projekt­ma­nage­ment Metho­den zurecht. Je weiter ich mich jedoch auf der X- und Y‑Achse nach rechts bezie­hungs­weise nach oben bewege, desto unbe­kann­ter werden die Tech­no­lo­gien und die Anfor­de­run­gen der Nutzer und desto höher ist die Wahr­schein­lich­keit, mit klas­si­schen Model­len der Produkt­ent­wick­lung und Unter­neh­mens­steue­rung in ernst­hafte Schwie­rig­kei­ten zu kommen oder gar zu scheitern.

Scrum, Kanban, Lean Startup oder doch Design Thinking?

Die Frage, welches agile Frame­work denn nun am geeig­nets­ten ist, ist so alt wie die Frame­works selbst und bevor hier falsche Hoff­nun­gen geweckt werden: ich werde sie nicht beant­wor­ten (können). Und genauso wenig wird das die Stacey Matrix. Es irrlich­tern Abbil­dun­gen durch digi­tale und analoge Kanäle, die eine trüge­risch einfa­che Lösung parat haben:

Stacey Matrix mit agile Frameworks

Davon gibt es frei­lich diverse Varia­tio­nen. Beispiels­weise werden Scrum und Kanban auch gerne mal vertauscht, da sich, in der entspre­chen­den Argu­men­ta­tion, explo­ra­tive Projekte ohne klare Ursa­che-Wirkungs­zu­sam­men­hänge ungern in 2‑Wo­chen-Sprints zwän­gen lassen. Und wenn sowohl Nutzer­wün­sche als auch benö­tigte Tech­no­lo­gien völlig außer Kontrolle gera­ten sind, hilft nur noch Design Thin­king. Oder Lean Startup. Angeblich.

Bei allem Verständ­nis für den Wunsch, die Entschei­dung für ein Frame­work möglichst früh im Projekt zu tref­fen, schließ­lich hängen da ja auch Rollen, Titel und Verant­wort­lich­kei­ten dran, so sehr möchte ich Werbung dafür machen, nicht in diese Falle zu tappen. Sie verspricht eine falsche Sicher­heit und birgt hohe Risi­ken für das Projekt und die Organisation:

  1. Es gibt eine sehr ausge­prägte Tendenz dazu, die eigene Komple­xi­tät zu über­schät­zen. Mal abge­se­hen davon, dass es bei der Matrix gar nicht um die Bewer­tung der eige­nen Komple­xi­tät sondern die der rele­van­ten Umwelt geht, würden Entschei­dun­gen also auf der Grund­lage einer stark subjek­tiv gefärb­ten Einschät­zung getrof­fen da es keine Mess­zahl für die Komple­xi­tät einer Orga­ni­sa­tion gibt.
  2. Orga­ni­sa­tio­nen, die gerade erst agiles Arbei­ten und Verhal­ten lernen, tendie­ren dazu, Entschei­dun­gen als unum­stöß­lich anzu­se­hen. Sollte man sich also beispiels­weise für Scrum entschei­den und nach drei Mona­ten merken, dass die Rahmen­be­din­gun­gen dafür noch nicht die rich­ti­gen waren, so dauert es in der Regel noch einmal drei Monate, bis diese Entschei­dung wieder rück­gän­gig gemacht wird.
  3. Die Stacey Matrix beinhal­tet keiner­lei Indi­ka­tor dafür, welche Verän­de­rungs­ge­schwin­dig­keit ein Unter­neh­men gehen kann. Sind die Schritte zu groß, droht eine Orga­ni­sa­tion daran zu zerbre­chen. An einem Frame­work fest­zu­hal­ten, weil es beim Wett­be­werb ja schließ­lich auch funk­tio­niert hat, ohne die notwen­dige Reife dafür zu haben ist sehr gefährlich.

Es entsteht außer­dem der Eindruck, agile Frame­works würden für einfa­che Anfor­de­run­gen und Tech­no­lo­gien zu viel Over­head produ­zie­ren und wären daher in diesen Situa­tio­nen nicht geeig­net. Natür­lich muss ich für die Arbeit am Band kein cross­funk­tio­na­les Team zusam­men­stel­len. Doch auch die Produk­tion ist mitt­ler­weile lean und kurze Feed­back­zy­klen haben selbst der einfachs­ten Arbeit noch nicht geschadet. 

Hinzu kommt, wie so oft, das Risiko, Agile Frame­works als unter­kom­plex einzu­schät­zen und sich zu schnell in die falschen Ursa­che-Wirkungs­prin­zi­pien zu verlie­ben. So könnte ja ein Glau­bens­satz sein: „je komple­xer mein Problem, desto mehr Frei­raum muss ich meinen Mitar­bei­tern lassen – da scheint mir Design Thin­king genau das Rich­tige!“ „Insbe­son­dere in chao­ti­schen Zeiten brau­chen die Mitar­bei­ter Führung und Sicher­heit. Die bekom­men sie vor allem, wenn sie wissen, was zu tun ist.“ Auch dieser Blick­win­kel hat seine Berech­ti­gung. Es kommt eben ganz darauf an, mit was für einer Unter­neh­mens­iden­ti­tät und ‑kultur ich es zu tun habe.

Darf ich die Stacey Matrix nun gar nicht mehr benutzen?

Das alles bedeu­tet nicht, dass die Stacey Matrix jetzt aus den Köpfen und Trai­nings verbannt werden soll. Ganz im Gegen­teil. Sie ist und bleibt eine hervor­ra­gende Möglich­keit, die Gren­zen wirk­sa­men Handelns klas­si­scher Orga­ni­sa­tio­nen zu visua­li­sie­ren. Auch ist sie ein guter Ausgangs­punkt für die Refle­xion der Einfluss­fak­to­ren Kunden­wunsch und Tech­no­lo­gie auf die eigene Unter­neh­mens- oder Projektwirklichkeit.

Ledig­lich die Entschei­dung, welches Frame­work denn nun einge­setzt werden sollte, sollte nicht auf Grund­lage dieser Refle­xion getrof­fen werden. Wie bereits ange­spro­chen, werde ich nun nicht detail­liert auf die Frage einge­hen, welches Frame­work in welcher Situa­tion am besten passt. Dennoch möchte ich zumin­dest ein paar Fragen mit auf den Weg geben, bei denen sich ein paar struk­tu­rierte Gedan­ken in jedem Fall lohnen:

Geht es ums Über­le­ben oder die Weiter­ent­wick­lung? (Was ist die Veränderungsenergie?)

Welche Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lungs­in­itia­ti­ven waren in der Vergan­gen­heit schon einmal erfolg­reich? Und warum?

Welche Steue­rungs­kon­zepte werden als wirk­sam erlebt und welche nicht?

Wie erlebt ihr die Entschei­dun­gen für oder wider bestimmte Frame­works? Ich freue mich auf Eure Erfahrungen!