“Viele unse­rer Mitar­bei­ter fühlen sich durch die Ansage, sie sollen jetzt agiler arbei­ten, unter Druck gesetzt. Dort wo vorher Lang­stre­cken­läu­fer geses­sen haben, hetzen auf einmal Sprin­ter durch unsere Büros.” Ein weit verbrei­te­ter und gleich­zei­tig verständ­li­cher Irrtum hat sich hier in den Köpfen fest­ge­setzt: Agiler zu arbei­ten heißt, schnel­ler zu arbei­ten. Schließ­lich lautet ein Buch­ti­tel eines der Scrum Urvä­ter, Jeff Suther­land, auch “Scrum. Doing twice the work in half the time.”

Grafik: Karl Bredemeyer

Don’t manage the worker, manage the work!

Doch es ging niemals darum schnel­ler zu arbei­ten. Der Groß­teil der Agilis­ten ist sich darüber einig, dass mittel- bis lang­fris­tig wenig dafür getan werden kann, die Arbeits­ge­schwin­dig­keit einzel­ner Menschen zu erhö­hen. Kurz­fris­tig mag es Maßnah­men mit moti­vie­ren­der Wirkung geben, die auch die Arbeits­ge­schwin­dig­keit erhö­hen. Auch mag es bei der Wahl der Arbeits­ma­te­ria­lien Hebel geben, die die Effi­zi­enz zu einem gewis­sen Grad stei­gern. In beiden Fällen ist jedoch auf lange Sicht kein Erfolg im Sinne einer Vervier­fa­chung der Arbeits­leis­tung zu erwarten.

Deut­lich nach­hal­ti­ger ist hier der Ansatz, einen Blick auf die Warte­zei­ten zu erle­di­gen­der Arbeits­pa­kete zu werfen und der anschlie­ßende Versuch, diese zu verkür­zen. Wenn ich heute mit der Bear­bei­tung einer Aufgabe beginne, und diese in 7 Tagen fertig­ge­stellt ist, ist die Arbeits­zeit auf den ersten Blick 7 Tage. Auf den zwei­ten Blick beträgt sie jedoch nur ein paar Stun­den, aller­dings lag das Arbeits­pa­ket etli­che Tage herum und wurde von notwen­di­gen Schnitt­stel­len leider zu spät oder gar nicht ange­fasst. Es muss jetzt also darum gehen, die Kommu­ni­ka­tion an und zu den Schnitt­stel­len so zu gestal­ten, dass sich die Warte­zeit und somit auch die Durch­lauf­zeit verkürzt. Bei der “Touch Time” hinge­gen wird kaum noch Poten­tial zu heben sein.

Das Verhält­nis von akti­ver Arbeits­zeit zur Durch­lauf­zeit heißt im Kanban “Flow Effi­ci­ency.” Eine Flow Effi­ci­ency von 15%, die nach den Anga­ben eini­ger Autoren und Coaches als normal bezeich­net werden könnte, bedeu­tet demnach, dass ein Arbeits­pa­ket 85% der Zeit herum­liegt und nur 15% der Zeit aktiv bear­bei­tet wird. Reife Teams errei­chen eine Flow Effi­ci­ency von 40% und mehr. Wer sich für das Thema inter­es­siert, kann auf den Seiten der Kanban Univer­sity durch die Arti­kel stöbern.

Arbeit versus Beschäftigung

Fängt man an, sich mit dem Thema Warte­zei­ten ausein­an­der­zu­set­zen, kommt man irgend­wann zwangs­läu­fig an den Punkt, sich zu fragen: was machen denn die Menschen die ganze Zeit, wenn alle 100% ausge­las­tet sind und wich­tige Dinge dennoch 85% der Zeit darauf warten, erle­digt zu werden? Hier kommt eine weitere wich­tige Unter­schei­dung ins Spiel: die zwischen Arbeit und Beschäf­ti­gung. Während Arbeit eine wert­schöp­fende Tätig­keit beschreibt, ist Beschäf­ti­gung über­spitzt gesagt ledig­lich die Verrich­tung von Aufga­ben unter der Annahme, dass eine Auslas­tung von weni­ger als 100% wirt­schaft­lich schäd­lich sein muss.

Das Erstel­len eines 100 seiti­gen Power Point Decks schafft keinen Wert, ist also Beschäf­ti­gung. Die eigent­li­che Arbeit wird in der Erhe­bung und Umset­zung der, in diesem Deck enthal­te­nen, Infor­ma­tio­nen geleis­tet. Es ist völlig egal, dass mitt­ler­weile sogar Harvard Studien bewei­sen, dass Power­Point Präsen­ta­tion Geld- und Zeit­fres­ser sind — auf diese Art der Beschäf­ti­gung hat man sich nun Mal geei­nigt und ganze Indus­trien drum­herum etabliert. Für eine detail­lier­tere Ausein­an­der­set­zung empfehle gerne die Podcast Folge “Bera­ter­thea­ter” von Lars Voll­mer.

Agil sein heißt wirk­sam sein

Zurück zur Ausgangs­frage: Heisst agil arbei­ten nun schnel­ler arbei­ten? Im Sinne der eben ange­spro­che­nen Unter­schei­dung von Arbeit und Beschäf­ti­gung bedeu­tet schnel­le­res Arbei­ten auch schnel­le­res Liefern von Wert. Damit ist jedoch, wie bereits eingangs erwähnt, nicht die Arbeits­ge­schwin­dig­keit einzel­ner Perso­nen gemeint, sondern die Verbes­se­rung der Kommu­ni­ka­tion an notwen­di­gen Schnitt­stel­len um die Liefe­rung von Wert für eine Orga­ni­sa­tion zu ermög­li­chen. Das wiederum bedeu­tet, die Zeit der reinen Beschäf­ti­gung zu redu­zie­ren und paral­lel die Zeit tatsäch­li­cher Arbeit zu erhö­hen. Para­do­xer Weise entsteht dadurch eine Situa­tion in der die Menschen nicht komplett ausge­las­tet sind. In dieser Zeit haben sie die Gele­gen­heit, durch­zu­at­men, krea­tiv zu sein oder einfach mal den eige­nen Inter­es­sen nach­zu­ge­hen. Um dann wieder im Sinne der Wert­schöp­fung wirk­sam sein zu können. Wahnsinn.