Was wir gelernt, worüber wir gelacht und was wir verges­sen haben – und was wir ganz bestimmt nicht noch­mal machen. Jeden Frei­tag frisch aus dem Berli­ner Büro

Knoten­an­ek­do­ten — Die Frei­tags­ko­lumne vom Netz­werk­kno­ten. Grafik: Karl Bredemeyer


Kennen Sie folgende Situa­tion: Ihr Gegen­über sagt etwas. Irgend­et­was. Sie halten das Gesagte für abso­lu­ten Blöd­sinn. (Kennen Sie sicher!) Sie schnap­pen nach Luft, hören die eigene Stimme „Aber, aber …“ sagen und wissen gar nicht, was nach dem „aber“ kommen soll? Ja, haben die meis­ten von uns schon erlebt. Ist nicht schlimm. Bringt halt nicht viel.


Karl Brede­meyer hat diese Woche einen Arti­kel auf unse­rem Blog publi­ziert, der sich gegen die Verwen­dung von „Abers“ ausspricht. Wie er darauf kommt? Klas­si­sche Beispiele sind Ansa­gen wie „Ich finde deine Idee gut, aber…“ oder „Ich will mich ja nicht einmi­schen, aber…“. Nach den Regeln der reinen Logik lösen sich die Satz­teile vor und nach dem Komma im Grunde selbst auf. Entwe­der man will sich nicht einmi­schen und schweigt. Oder man will sich einmi­schen und spricht. Simpel. Und wenn die Idee gut ist, ist sie gut und muss nicht rela­ti­viert werden. „Find ich toll, aber…“ als Einlei­tung einer Kritik ist ledig­lich eine Flos­kel oder ein sehr falsch verstan­de­ner Ansatz gewalt­freier Kommunikation.


Karl schlägt statt­des­sen die Verwen­dung von gleich­zei­tig und und vor. „Es ermög­licht die fried­li­che Koexis­tenz mehre­rer Ideen, ohne einem die Möglich­keit zu nehmen, die eigene Meinung deut­lich zu machen“, sagt er. Fried­li­che Koexis­tenz, das klingt zunächst ganz flau­schig. Wenn Sie versu­chen, mal einen Text ohne „aber“ zu schrei­ben oder sich den Wecker für eine „aber­freie“ Stunde stel­len, werden Sie fest­stel­len, dass es teil­weise fast körper­lich unan­ge­nehm werden kann. Das mag daran liegen, dass sich mit dem stän­di­gen Gebrauch von „aber“ ein dicho­to­mes Welt­bild in unse­rer Sprach­pra­xis äußert. Entwe­der jemand ist gut oder schlecht. Wenn kluge Menschen etwas Dummes tun, hören sie: „Hä, aber du bist doch so schlau.“ Wie oft sagen Nachbar*innen in Inter­views über soeben iden­ti­fi­zierte Gewalttäter*innen, der Mensch sei doch „aber immer so freund­lich gewesen.“

Wert­schät­zung verträgt kein “Aber”

Das Weglas­sen von „aber“ und die Verwen­dung von „und“ ist zunächst so unan­ge­nehm, weil wir gram­ma­ti­ka­lisch und somit auch physisch aushal­ten müssen, dass jemand eben immer freund­lich Guten Tag sagen und gewalt­tä­tig sein kann. Dass ein Projekt berei­chernd und kräf­te­zeh­rend sein kann. Dass Sonnen­schein im Januar die Laune hebt und die Klima­krise genau das Gegen­teil dessen tut.


In der Psycho­lo­gie gibt es das schöne Wort „Ambi­gui­täts­to­le­ranz“. Es bezeich­net die Fähig­keit, Viel­deu­tig­keit und Unsi­cher­heit zur Kennt­nis zu nehmen und ertra­gen zu können. Sozio­lo­gisch gilt die Ambi­gui­täts­to­le­ranz als ein Sozia­li­sie­rungs­er­geb­nis, das in einer Gesell­schaft mit unter­schied­li­chen Bedürf­nis­sen notwen­dig ist. Für unse­ren Kontext als Agile Coaches in der Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung bedeu­tet das: Das Weglas­sen von „Aber“ ist keine rheto­ri­sche Kür, sondern essen­zi­ell für unsere Werte bei der Arbeit mit unse­ren Kund*innen und in unse­rem Team. Wir haben mehr­mals heraus­ge­ar­bei­tet, dass wir Wert­schät­zung als Grund­lage für gelin­gende Arbeit brau­chen und wollen. Dafür benö­ti­gen wir psycho­lo­gi­sche Sicher­heit für alle Betei­lig­ten und eben die von Karl beschrie­bene „fried­li­che Koexis­tenz mehre­rer Ideen“ und gleich­zei­tig die Garan­tie, mit der eige­nen Posi­tion gese­hen zu werden. Wir begrei­fen die Welt und ihre Wertig­keit in Spra­che. Zeigt sich daran, wenn wir aufhö­ren, bestimmte Bezeich­nun­gen als Schimpf­worte zu benut­zen. Oder eben, wenn wir aufs „Aber“ verzich­ten und der Winkel auf einmal wesent­lich größer wird.


Als letz­tes Beispiel muss hier das tausend­fach zitierte Berlin sei “arm, aber sexy” herhal­ten. Was soll das eigent­lich heißen? Dass Sexi­ness Armut kompen­siert? Oder finden wir da die Grund­an­nahme, wer arm ist, könne eigent­lich nicht sexy sein? Wir schla­gen vor: “Arm und sexy.” Hier sehen wir gleich­zei­tig die Ressour­cen, das Poten­zial und die Engpässe. Tauschen Sie die Wörter gegen Zuschrei­bun­gen aus dem eige­nen Kontext und Sie werden sehen: Aber­frei­heit macht die Welt ein wenig komple­xer und (nicht aber!) verviel­facht den Raum der mögli­chen Lösun­gen von Proble­men. Probie­ren Sie’s doch mal aus.


P.S. Die Person hinter dieser Kolumne ist sehr aberis­tisch veran­lagt und hat eigens hier­für auch dieses Wort erfun­den. Und den perfek­ten Aber-Hack von ihrer Urgroß­mutter über­nom­men: Wenn die gefragt wurde, ob sie noch etwas Zucker in ihren papp­sü­ßen Kaffee wollte, strahlte sie übers ganze Gesicht und rief: „Aber ja!“