(Teil 1) … Eine natür­li­che Tendenz in Orga­ni­sa­tio­nen ist es ja meist, Konflikte entwe­der nicht zu benen­nen, um ihnen keine Bühne zu geben und sie somit in ihrer Exis­tenz zu igno­rie­ren. Oder wenn dies nicht gelingt, den Betei­lig­ten zu mehr Entspan­nung und dem schnellst­mög­li­chen Lösen im 4‑Au­gen-Gespräch zu raten. Aber dabei bitte die Emotio­nen raus­las­sen und ledig­lich auf einer Sach­ebene mitein­an­der die Dinge bespre­chen. Und wenn dies eben­falls nicht fruch­tet, dann versucht man mit großen Work­arounds, Lessons-Lear­ned-Meetings und Maßnah­men, einen zukünf­ti­gen Ausbruch zu verhindern.

Mit der Stra­te­gie­ar­beit laden sich nun die Orga­ni­sa­tio­nen expli­zit, jedoch ohne es zu wissen, einen oder sogar mehrere Konflikte ein. Sie bege­ben sich dabei in Zustände der Insta­bi­li­tät und Unsi­cher­heit, mit der Erwar­tung, dass allein das in der Stra­te­gie aufge­zeigte und mühsam erar­bei­tete Bild von der Zukunft genug sei, die Stabi­li­tät wieder herzu­stel­len. Und das jedes Mal.

Stra­te­gie darf Konflikt sein

In diesen Konflikt­si­tua­tio­nen scheint es ok zu sein, dass es ruckelt, dass es für einige unan­ge­nehm wird und vor allem, dass es Zeit bedarf, wieder in einen stabi­len und damit ruhi­gen und gestärk­ten Zustand zu kommen. Wir kommen nicht umhin, uns die Frage zu stel­len: Was lässt den Konflikt im Kleid der Stra­te­gie so viel sympa­thi­scher und akzep­tier­ter erschei­nen im Vergleich zu allen ande­ren Konflik­ten? Um dem auf die Schli­che zu kommen, schauen wir uns erst­mal die Gemein­sam­kei­ten an. 

Konflikte haben, wie alles auf der Welt, eine Daseins­be­rech­ti­gung; obwohl sich bei Stech­mü­cken durch­aus die Geis­ter schei­den. Konflikte jeden­falls besit­zen immer eine Funk­tion. Diese ist, sozu­sa­gen, ihr Lebens­eli­xier und lässt sie so lange stabil und damit größer, lauter, gewal­ti­ger und eska­la­ti­ver werden, wie die Funk­tion noch nach Erfül­lung schreit. Was um Himmels­wil­len kann schon ein Konflikt erfül­len wollen, abge­se­hen davon die Menschen darin zu verlet­zen, bloß­zu­stel­len und ihre Bezie­hung zu unterbrechen?

Zum einen sei gesagt, dass dem Konflikt per se erst­mal egal ist, wie er sich seine Funk­tion erfüllt und welche Schmer­zen und ungute Gefühle er seiner rele­van­ten Umwel­ten dabei zukom­men lässt (Eiden­schink, 2023)*. Für ihn ist erst­mal nur wich­tig, dass er am Leben bleibt und damit seine Funk­tion erfül­len kann. In diesem Sinne eigent­lich eine feine Eigen­schaft: auf ihn ist immer verlass, egal was passiert. 

Funk­tion von Konflikten

Zum ande­ren brau­chen wir in den sozia­len Syste­men, in denen wir uns alle bewe­gen, sei es die Fami­lie, die Abtei­lung, der Verein, die Part­ner­schaft oder die Gemeinde, drin­gend die Funk­tio­nen, die Konflikte dort herstel­len wollen: 

Sie wollen entwe­der eine bestehende Ordnung vertei­di­gen und zeigen das auf, was alles bewah­rens­wert scheint. Und mit Blick auf die letzte große Verän­de­rungs­in­i­ta­tive in Ihrer Orga­ni­sa­tion, in der eine Hand­voll Menschen bunt ange­malt durchs Betriebs­ge­lände gelau­fen sind und über­all erzählt haben, dass das Neue so viel besser ist, ist es wenigs­tens einer, der sieht, dass in der Vergan­gen­heit nicht alles schlecht war.

Manch­mal wollen sie auch einen Status Quo in Frage stel­len. Ohne Diskurs darüber fällt es oft schwer zu bemer­ken, wenn Routi­nen zu einge­schlif­fen sind und nicht mehr dem Zweck dienen, oder eine zu große Entspan­nung eintritt, weil das Gewohnte viel leich­ter fällt, man aber verpasst, auf die ursprüng­li­che Ziel­stel­lung dessen zu schauen.

Und manch­mal stre­ben Konflikte sogar eine Neuord­nung an, weil Bestehen­des nicht mehr taugt und Altes durch Neues ersetzt werden muss. Verän­de­rung in sozia­len wie auch in ande­ren Syste­men und Orga­nis­men ist ja die Konstante und damit immer da. Das ist auch gut, denn die Welt da drau­ßen ändert sich so schnell, da ist es sehr dien­lich, regel­mä­ßig zu über­prü­fen, wie man ihr heute am besten begeg­nen kann — somit auch eine uner­läss­li­che Funktion.

Schlech­tes Image von Konflikten

Das gesagt und ratio­nal sicher die ein oder andere inner­li­che Zustim­mung erhal­ten, macht es noch unglaub­li­cher, dass Konflikte in unse­rem Kultur­kreis so unwill­kom­men sind, wie noch nie zuvor. Mit Blick auf die unzäh­li­gen Ratge­ber, die eine schnelle Lösung für alle Konflikte anbie­ten, die Social-Media-Kanäle, die voll sind mit Menschen, die über ein „gesun­des“ Mind­set einfach alles wegat­men können, und auf die Poli­tik­bühne, die Trotz, Beschä­mung und das Brechen der Gesetze als zuläs­sige Verhal­tens­wei­sen akzep­tie­ren, um gesell­schaft­li­che Konflikte zu bewe­gen, möchte man fast meinen, dass wir verges­sen haben, wofür Konflikte eigent­lich stehen.

Ja, zuge­ge­be­ner­ma­ßen sind sie hoch­kom­plex, meist undurch­sich­tig in ihrer Gemenge­lage und höchst­per­sön­lich in der Bewer­tung, was es nicht unbe­dingt leich­ter macht, ihnen zu begeg­nen. Sie sind wie Gewit­ter­wol­ken, neblig und grau aus der Ferne und von Nahem mit ganz vielen einzel­nen Wasser­trop­fen verse­hen. Es braucht daher eine innere Bereit­schaft, ausrei­chend Zeit und Geduld, um sich mit ihren Belan­gen, den verbun­de­nen Emotio­nen und auch den sicht­ba­ren und verdeck­ten Dyna­mi­ken ausein­an­der­zu­set­zen. Und vor allem braucht es Kompe­ten­zen, die über ein Igno­rie­ren, Wegschie­ben oder blin­des Konfron­tie­ren hinaus gehen. 

Für all das ist in unse­rer schnel­len, in Hash­tags kommu­ni­zie­ren­den und nach Wenn-Dann-Lösun­gen suchen­den Welt nicht viel Platz. 

Notwen­dige Kompetenzen

Wer bin ich im Konflikt? Was sind typi­sche Verhal­tens- und Sprach­mus­ter von mir in einem Konflikt? Wie reagie­ren Menschen typi­scher­weise darauf? Wie geht es mir danach? Welche Konflikte gehe ich ein? Vor welchen laufe ich eher weg? Wann gehe ich an die Decke? Wann schotte ich mich ab? Mit wem streite ich und mit wem nicht (Podcast­folge)? Welche Konflikte sind in meiner Orga­ni­sa­tion will­kom­men und welche nicht? Wer ist oftmals daran betei­ligt und wer nie? Wie baut sich ein Konflikt dort auf und wie verhal­ten sich die Menschen um ihn herum?

Um auf diese Fragen Antwor­ten zu bekom­men, gilt es, sich Zeit zu nehmen, zu beob­ach­ten und zu spüren, um mit diesen Erkennt­nis­sen wieder ins Gespräch zu gehen. Erst das Zurück­ge­hen und mit Abstand auf den Konflikt blicken oder das viel näher Range­hen und wirk­lich Eintau­chen in den diffu­sen Nebel, macht einen Unterschied. 

Bei Konflik­ten in Form einer Stra­te­gie sind die Menschen bereit­wil­li­ger, diesen Aufwand und die Arbeit zu betrei­ben. Wie können Konflikte also ihr Image aufpo­lie­ren? Und was können sie noch von Stra­te­gien lernen? Freut euch auf Teil 3 unse­rer Blogserie.

Lese­emp­feh­lung:
* Eiden­schink, Klaus (2023): Die Kunst des Konflik­tes — Konflikte schü­ren und beru­hi­gen lernen
Simon, Fritz B. (2022): Einfüh­rung in die System­theo­rie des Konfliktes