Was wir gelernt, worüber wir gelacht und was wir verges­sen haben – und was wir ganz bestimmt nicht noch­mal machen. Jeden Frei­tag frisch aus dem Berli­ner Büro (und derzeit aus dem Homeoffice)

Knoten­an­ek­do­ten — Die Frei­tags­ko­lumne vom Netz­werk­kno­ten. Grafik: Karl Bredemeyer

Heute ist schrei­ben schwer. Schauen wir uns mal die vergan­gene Woche an. Wir befin­den uns nach wie vor inmit­ten einer Pande­mie. Und alle Menschen, die derzeit soziale oder tradi­tio­nelle Medien nutzen, haben den Mord an George Floyd durch einen weißen Poli­zis­ten in Minnea­po­lis mitbekommen. 

Schrei­ben ist schwer, weil der Bezug zu fehlen scheint. Unser Team arbei­tet in Deutsch­land, ist weiß, arbei­tet im Agile Coaching und wir alle kennen den Spruch „Es wurde schon alles gesagt, nur halt nicht von jedem.“ Ist das hier der Fall?

Viel­leicht geht es hier viel­mehr um Haltung. Um Komfort­zo­nen und das Verlas­sen dieser. Verletz­bar­keit. Spra­che und ihre Wirk­sam­keit. Das sind Themen, die uns vertraut sind. Wir haben schon oft darüber geschrie­ben und noch öfter darüber gespro­chen. Wir setzen uns für eine Arbeits­welt ein, in der es sich für alle sicher und erfüllt leben lässt. Wofür wir das tun? Nicht, weil wir Gewinn­ma­xi­mie­rung so geil finden, dann könn­ten wir auch in einem ande­ren Bereich arbei­ten. Sondern, weil wir davon über­zeugt sind, dass der Bereich der Arbeit einer von vielen Aspek­ten der Welt ist. Was für die Arbeit im Team gilt, gilt auch für ein Leben in der Gesellschaft. 

Wer über Corona redet, kann auch über Rassis­mus reden

Wir, ein Team aus sehr verschie­de­nen und durch­ge­hend weißen Perso­nen, leben in einer Gesell­schaft, in der Menschen wie wir von struk­tu­rel­lem Rassis­mus profi­tie­ren. Nicht, weil wir das gut finden oder es uns ausge­sucht haben. Trotz­dem ist es so. Weiß zu sein bedeu­tet für uns keinen Nach­teil bei der Wohnungs­su­che zu haben, nicht darüber nach­den­ken zu müssen, ob wir mit der Haut um unse­ren Körper unbe­scha­det durch diesen oder jenen Stadt­teil laufen können oder ob die Fami­lie unse­rer Partner*innen „solche wie uns“ akzep­tiert. Das zu erken­nen tut weh und ändert nichts daran, dass wir diese Vorteile haben. 

Wurde das schon alles gesagt, aber nicht von jedem? Nein. Weil es für alle Betei­lig­ten extrem unan­ge­nehm ist, darüber zu reden. Weil das Thema so leid­be­setzt ist, dass es nie irgendwo rein­zu­pas­sen scheint, weder beim netten Abend­essen mit den Groß­el­tern noch hier in diese Kolumne. Gleich­zei­tig beto­nen wir im Arbeits­all­tag immer wieder, wie wich­tig eine offene Kommu­ni­ka­tion und Refle­xion ist. Wir arbei­ten für ein Mitein­an­der, das Menschen wert­schätzt, ihr Wohl­be­fin­den prio­ri­siert. Das ist kein fancy Logo für unsere Außen­wir­kung, sondern eine Haltung. Und die können wir nicht einfach abstrei­fen, sobald wir den Laptop zuklappen. 

Wer über die Auswir­kun­gen von Corona auf das tägli­che Leben schrei­ben kann, ohne Virolog*in zu sein, kann auch über struk­tu­rel­len Rassis­mus schrei­ben, ohne eine Profes­sur in post­ko­lo­nia­len Studien zu beset­zen. (Wer trotz­dem fach­li­chen Input sucht: Tupoka Ogette, Nata­sha A. Kelly und Alice Hasters sind Exper­tin­nen und leis­ten groß­ar­tige Arbeit.) Keine Frage, es ist ein Thema, das viele von uns hilf­los macht. Es gibt keinen perfek­ten Weg. Keine Anlei­tung. Gerade deshalb machen wir es. Weil wir mit realen Menschen zusam­men­ar­bei­ten, die in einer realen Gesell­schaft leben. 

Spre­chen versus Schweigen

Wir alle sind gewohnt, uns schnelle Lösun­gen für komplexe Probleme herbei­zu­seh­nen. Die gibt’s hier nicht. Seit langem spre­chen wir viel und häufig über die Macht der Spra­che. Dabei geht es nicht nur darum, wie wir spre­chen, sondern auch worüber wir spre­chen. Wen wir anspre­chen und wen nicht. Bei all dem Spre­chen über Spra­che, gewalt­freier, gewalt­sa­mer, wert­schät­zen­der und abwer­ten­der Spra­che, gerät ein rele­van­ter Teil des Spre­chens oft in den Hinter­grund: Das Nicht-Spre­chen, auch genannt Schweigen. 

Wer von uns saß noch nie in einer Runde und wurde unge­recht behan­delt? Blöd ange­macht, über­gan­gen, gede­mü­tigt? Und hat sich instän­dig gewünscht, irgend­je­mand möge den verdamm­ten Mund aufma­chen? Wurde hinter­her von Menschen ange­spro­chen, dass sie das ja eigent­lich auch nicht in Ordnung fanden, gesagt haben sie trotz­dem nichts? Genau. Lasst uns anfan­gen zu spre­chen. Es geht nicht darum, eine Eins mit Stern­chen in Anti­ras­sis­mus zu bekom­men oder man fliegt raus. Es geht darum, in einer Welt zu leben, in der Gewalt nicht weiter­be­stehen kann, nur weil es unan­ge­nehm ist, darüber zu reden. Es ist wesent­lich unan­ge­neh­mer, sie zu erle­ben. Schwarze Menschen und People of Color erle­ben sie täglich.

Ob dieser Text die Welt verän­dert? Eher nicht. Ist auch nicht sein Anspruch. Er ist ein Versuch, nach der Maxime Lead by exam­ple zu leben. Weil wir uns nicht über andere Menschen beschwe­ren wollen, die dies oder jenes nicht tun, um etwas zu verän­dern, sondern weil wir einfach irgendwo anfan­gen müssen.