Was wir gelernt, worüber wir gelacht und was wir verges­sen haben – und was wir ganz bestimmt nicht noch­mal machen. Jeden Frei­tag frisch aus dem Berli­ner Büro

Knoten­an­ek­do­ten — Die Frei­tags­ko­lumne vom Netz­werk­kno­ten. Grafik: Karl Bredemeyer

Agile. Tolles Wort. Wer es oft genug benutzt, weiß, welche Wirkung es auf Augen hat: Von erleich­ter­tem Aufblit­zen über Rollen hin zu sich zu Frage­zei­chen krüm­men­den Pupil­len, agile liefert alles. Wir benut­zen das Wort oft genug. Agile ist kein Pony­hof, kein bunter Blät­ter­wald, kein Pflicht­pro­gramm, alles schon besprochen.

Was ist es denn dann? In der vergan­ge­nen Woche haben wir uns viel damit beschäf­tigt, inwie­weit Spra­che Reali­tät schafft. Dabei geht es nicht um einzelne Wörter, die wir weglas­sen und ihre vorge­form­ten Lücken mit neuen füllen. Es geht darum, neu spre­chen zu lernen, neu denken zu lernen. Dafür hilft Gram­ma­tik, da sie das Gerüst bildet, die Muster und Regeln und Formen, inner­halb derer wir Beob­ach­tun­gen struk­tu­rie­ren und weiter­ver­mit­teln können. Dabei dürfen einzelne Wörter manch­mal auch gerne diesel­ben blei­ben. (Wer jetzt nach der vorhe­ri­gen Kolumne auf Erlö­sung hofft: Im Falle von „Aber“ gilt das nicht!)

„Du bist jetzt agile“, hat unser Kollege vor Kurzem über­hört. Kennen Sie jeman­den, der oder die agile ist? Was soll das bedeu­ten, haben wir uns gefragt. Mit der Brille der reali­täts­schaf­fen­den Spra­che und der agilen Annah­men betrach­tet würde das heißen, dass „agile“ ein Adjek­tiv oder Substan­tiv und somit ein fest­ste­hen­der Zustand ist. Das Grund­prin­zip der Mate­rie: Wasser ist Wasser, weil es eben nichts ande­res ist. Wenn ich A bin, kann ich nicht gleich­zei­tig nicht A sein. Ein Hund kann nicht gleich­zei­tig eine Katze sein, ein Kind kein Erwach­se­ner. Soweit sehr logisch. Demzu­folge kann agile schon mal kein Substan­tiv sein, weil wir immer viel mehr sind als das und agile weder als Persön­lich­keits­ei­gen­schaft noch als Iden­ti­tät noch als Zuschrei­bung wirken kann.

Inter­es­san­ter wird es bei der Frage nach Adjek­ti­ven: Eine Erwach­sene kann nämlich sehr wohl kindisch sein, ein Kind sehr erwach­sen. Man kann tatsäch­lich zugleich klug und albern sein, nicht aber klug und nicht klug.

Nun beschreibt Agili­tät eine Form der Arbeits­or­ga­ni­sa­tion, deren Ziel­zu­stand unter ande­rem Flexi­bi­li­tät, Anpas­sungs­fä­hig­keit und schnelle Umset­zung in kurzen itera­ti­ven Zyklen ist. Ein Verständ­nis von agile als Substan­tiv kann schnell dazu führen, dass die Menschen, die – häufig von außen – dazu ermu­tigt werden, das Wort dann als einen Anzug empfin­den, der über sie drüber gegos­sen wird, á la: „Alles, was Du vorher gemacht hast, war Müll. Jetzt bist Du agile.“ Adjek­tive wiederum sind in der Regel stei­ger­bar. Eben­falls ein sehr ungüns­ti­ges Mind­set für erfolg­rei­ches und sinn­vol­les agiles Arbei­ten: „Du bist agiler als Steffi, aber am aller­agils­ten sind natür­lich wir.“ Nee, wirk­lich nicht.

Worauf wir hinaus­wol­len? Nun, wir möch­ten ein Verständ­nis von Agili­tät als eine Form von Haltung und somit Verhal­ten promo­ten. Um bei den gram­ma­ti­ka­li­schen Analo­gien zu blei­ben: Begrei­fen wir agile doch als Verb. (Von verkrampf­ten Neolo­gis­men wie „agilie­ren“ sehen wir beflis­sent­lich ab.) Agile ist also eine Art des Handelns, des Denkens, Spre­chens, Begrei­fens, die aber auch Raum lässt für Mehr­deu­tig­keit, Plura­lis­mus und Heran­ge­hens­wei­sen. Sollte zumindest.


Mit der Annahme, dass Spra­che Reali­tät schafft, hilft uns das Verständ­nis von agile als Verb oder ganz grund­schul­mä­ßig „Tun-Wort“, eine Haltung aktiv vorzu­le­ben und zu vermei­den, dass Menschen sich ohne Rück­sicht auf indi­vi­du­elle Passung in eine metho­di­sche Scha­blone gepresst fühlen. Außer­dem ist es sogar drin­gend nötig, um Perso­nen, die bisher nicht agil gear­bei­tet haben, auf Augen­höhe zu begeg­nen. Und, um Wider­sprüch­lich­kei­ten aner­ken­nen, aushal­ten und gege­be­nen­falls lösen zu können. Ein Beispiel: Wenn eine Person gleich­zei­tig konträre Adjek­tive verkör­pert, zum Beispiel liebe­voll und aggres­siv, ist das mental kaum inte­grier­bar. Wenn sie hinge­gen gleich­zei­tig am Steuer sitzt und bei 120 Stun­den­ki­lo­me­tern durch Insta­gram scrollt, ist das zumin­dest kogni­tiv erfass­bar, sprich: Es lassen sich für konträ­res Verhal­ten Lösun­gen finden. Das Glei­che gilt auch für sämt­li­che Verhal­tens­wei­sen in einer Organisation.

Und, das aller­wich­tigste: Tun, also Verhal­ten ist erlern­bar, verän­der­bar, endlich, erträgt Pausen, Neuver­su­che und beein­flusst, aber bestimmt nicht die eigene Iden­ti­tät. Und mit diesem Ansatz, so verspre­chen wir uns, erfüllt agile und konkret unsere Arbeit, ihren Zweck: Teams dabei zu unter­stüt­zen, sinn­voll, sinn­haft und freud­voll mitein­an­der zu arbeiten.