Es war einmal…
Für die meiste Zeit meines Arbeitslebens ging ich von Montag bis Freitag und beispielsweise von 9:00 – 18:00 Uhr zur Arbeit. Nur wenn sich die Heizungsableser, größere Pakete (Zeitfenster ähnlich zu Arbeitszeiten 9–18Uhr) oder sonst irgendwelche Ausnahmen angekündigt haben, habe ich eine Sonderabsprache mit meinen Kollegen getroffen und bin für den angekündigten Zeitraum zu Hause geblieben und habe so gut es ging von dort aus gearbeitet. Dieses Modell war von den meisten Arbeitgebern nicht gewollt und leiseste Überlegungen der Belegschaft in diese Richtung wurden im Keim erstickt. So gab ich mich mit dem Status Quo zufrieden und genoss einfach die wenigen Möglichkeiten, die sich zum Home-Office boten.
Beim Netzwerkknoten war diese Möglichkeit von Anfang an gegeben. Einerseits, weil wir als Berater häufig einen Teil der Woche schon nicht zu Hause verbringen und zusätzlich, weil das Wohl und die Vorlieben der Mitarbeiter auch eine bekannte Größe in der Gleichung zu mehr Zufriedenheit war.
„Und dann kam Corona“
„Und dann kam Corona“ — wahrscheinlich einer der am häufigsten gesagten Sätze in 2020 – auf einmal wurde ein Großteil der Organisationslandschaft gehörig durchgeschüttelt und der Pivot zu Home-Office war nicht nur möglich, sondern im Sinne der Mitarbeitenden auch zwingend notwendig. „Im Sinne der Mitarbeitenden“ im Übrigen auch vor Corona schon, nur jetzt gab es keine Ausreden (Sicherheit, Technik, Misstrauen, etc.) mehr.
Je nachdem wen ich frage, werden verschiedene Vor- und Nachteile von Home-Office angeführt. Ein Punkt wird von Freunden*innen, Kollegen*innen, Kunden*innen usw. allerdings mit sehr großer Häufigkeit erwähnt: Die fehlenden Interaktionen mit Kollegen*innen an der Kaffeemaschine. Was die Umgebung des Büros ausgemacht hat, ist das sehr strukturierte Setting für unstrukturierten Austausch. Viele Mitarbeiter*innen fangen beispielsweise etwa zur gleichen Zeit an zu arbeiten, haben ähnliche Zeiten für die Mittagspause und auch die Kaffeemaschine steht immer am selben Platz. Es ist also eine Art Struktur gegeben sich immer mal wieder „über den Weg zu laufen“.
So nachvollziehbar dies ist, eine neue Studie legt nahe, dass ein weiterer Punkt entscheidend ist. Während der Kontakt zu den Kollegen, wenn auch nicht in Person und nicht an der Kaffeemaschine, in der Regel noch recht häufig stattfindet, scheint der positive Kontakt zum Chef, Manager oder Vorgesetzten für die Moral der Mitarbeiter*innen von besonderer Bedeutung zu sein.
Gute Führungskräfte haben erkannt, dass es nicht damit getan ist Meetings in virtuelle Meetings umzuwandeln und alle zur Verfügung stehenden online Tools für strukturierten Austausch zu nutzen. Sie versuchen auch den unstrukturierten Austausch, der Mitarbeiter untereinander, im virtuellen Raum zu ermöglichen und so das soziale Kapital zu fördern. Dies gelingt, in dem Sie zum Beispiel Zeit für nicht arbeitsbezogene Meetings der Mitarbeiter*innen untereinander einräumen, die Regelmäßigkeit von Teammeetings erhöhen und in diesen Meetings Methoden wählen, die vor allem unstrukturierten Austausch und die Bindungen fördern.
Soziales Kapital
Zugegeben, es klingt nach einem eher technischen Begriff, er verdeutlicht aber sehr gut die Wertigkeit von sozialen Gefügen in einer Organisation. Gemeint sind Prozesse zwischen Menschen in einem System, die Netzwerke, eine Übereinkunft des Verhaltens und soziales Vertrauen begünstigen und dadurch die Zusammenarbeit fördern. Ein hohes Maß an sozialem Kapital ist sichtbar, wenn Mitarbeiter sich gegenseitig helfen, Probleme proaktiv angehen oder Missverständnisse auf der Sachebene und nicht der persönlichen Ebene besprochen werden können.
In der Studie von VitalSmarts, einem Unternehmen für Führungskräfte Training, wurden über 2.000 Mitarbeiter*innen und über 200 Führungskräfte zu den Auswirkungen, vom Wechsel ins Home Office, durch die Pandemie befragt. Mehr als die Hälfte der Führungskräfte gibt an, dass die Kultur ihrer Unternehmen unter dem Wechsel ins Home-Office gelitten hat. Die Forscher wiederum haben einen direkten Zusammenhang zwischen der Moral der Mitarbeiter*innen und dem Verhalten genau dieser Führungskräfte ausgemacht.
Es ist also das Verhalten der Vorgesetzten, welches besonderen Einfluss auf das soziale Kapital hat. Noch genauer, die Bemühungen, die Kommunikation mit ihren Mitarbeiter*innen aufrecht zu erhalten.
In Unternehmen, in denen sich Vorgesetzte um die Kultivierung des sozialen Kapitals kümmern, haben die Mitarbeiter*innen eine:
· 60% höhere Wahrscheinlichkeit, schnell auf Anfragen ihrer Kolleg*innen zu reagieren
· 3 mal höhere Wahrscheinlichkeit mit Fehlern ihrer Kolleg*innen wohlwollend umzugehen
· 2 mal höhere Wahrscheinlichkeit Probleme proaktiv anzugehen, anstatt zu warten bis man ihnen sagt, was zu tun ist
„Alles was man tun muss, um das soziale Kapital zu schädigen, ist nichts zu tun“
Schon kleinste Interaktionen, der Vorgesetzten mit ihren Mitarbeiter*innen, wirken sich fördernd auf die Moral aus. Einige Teilnehmer*innen gaben an, dass schon das Rumschicken eines Fragebogens ihrer Vorgesetzten einen positiven Effekt hatte. Unternehmen, in denen sich die Vorgesetzten zusätzlich nach dem Wohlbefinden erkundigten, Beratung oder virtuelle Trainings anboten, hatten durchweg einen höheren Grad an Moral unter ihren Mitarbeiter*innen.
Die Wissenschaftler schlussfolgerten, dass nicht physische Nähe, also zum Beispiel das gemeinsame Arbeiten in einem Büro ausschlaggebend für die Moral der Mitarbeiter*innen ist, sondern die Fähigkeit der Führungskräfte soziales Kapital zu fördern. Und es scheint, dass dies schon durch kleinste Bemühungen auch im virtuellen Raum machbar ist.
Ich finde diese Erkenntnisse im Hinblick auf die Zukunft beruhigend. Ich bin außerdem davon überzeugt, dass sich Investitionen in das soziale Kapital auch Wirtschaftlich rentieren. In Form von geringerer Fluktuation, höherer Identifikation, höherem Wohlbefinden, mehr Kollaboration und damit verbundenem Ideenreichtum.
Was sind eure Erfahrungen? Wie stärkt ihr euer Soziales Kapital?
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Quellen: