Wann war Ihre letzte pein­li­che Situation?

So etwas wie: Sie applau­die­ren im Konzert unwil­lent­lich als erste und einzige Person in die Stille und die Reak­tion der ande­ren Zuschaue­rIn­nen bleibt sekun­den­lang aus. Und dann? Klat­schen Sie weiter bis jemand ande­res mitmacht? Oder schauen Sie sich um, werden rot und hören auf? Oder ist Ihnen so etwas gar nicht peinlich?

Und wenn doch: War Ihr begeis­ter­ter Einsatz es Ihnen wert? Warum? Lag es daran, weil Sie Ihrem Impuls gefolgt sind und dabei einfach Sie selbst waren? Oder, dass es die Grund­stim­mung im Publi­kum posi­tiv verän­dert hat? Haben sich die Musi­ke­rIn­nen gefreut? Wie groß war das Opfer, das Sie und Ihr Ego dafür erbracht haben?

Was können wir aus solchen Situa­tio­nen über Verän­de­rung lernen?

Einer ähnli­chen Frage widmete sich der Unter­neh­mer Derek Sivers in seinem TED-Talk 2010. Für seinen Impuls­vor­trag hatte er ein Video­bei­spiel von einem Festi­val im Gepäck. Dieses dient auch im Folgen­dem als Meta­pher für die Einfüh­rung von Verän­de­rungs­pro­zes­sen, wie dem agilen Arbei­ten. An Hand dieser wird reflek­tiert welche Eigen­schaf­ten Initia­to­rIn­nen neuer Metho­den und Prozesse idea­ler­weise mitbringen.

Nennen wir den Prot­ago­nis­ten “Mr. Rave­some”. Gehen wir davon aus, dass dieser tut, was es gerade für die Mehr­heit der Anwe­sen­den braucht und ein Zweck der Veran­stal­tung ist: Gute Stim­mung haben und in Bewe­gung kommen. Das klingt unter­halt­sam und banal, während es gleich­zei­tig für Inno­va­ti­ons­ma­na­ge­rIn­nen, Führungs­kräfte, VUCA und Tran­for­ma­tio­nal Leader sowie (Start-Up-)GründerInnen eine Reihe an Erkennt­nis­sen daraus mitzu­neh­men gibt. Im Wesent­li­chen sind es zwei Punkte:

Welche Eigen­schaf­ten braucht es, um eine Verän­de­rung anzu­sto­ßen? und Wie springt der Funke auf andere Menschen über, sodass sie ihre Bequem­lich­keit oder Scham über­win­den, um loszulegen?

Kurzum: Was hat Mr. Rave­some, als Initia­tor eines Momen­tums, was die ande­ren nicht haben? Zunächst ist er ein Besu­cher wie jeder andere auch und damit ein Teil der Masse. Vermut­lich ist er weder der Art Direc­tor, noch ein/e offi­zi­ell auftretende/r Künst­le­rIn. Er tanzt zu Musik auf einer Festi­val­wiese, aber als Einzi­ger in seinem Radius. Und er tut es beherzt mit seinem eige­nen Stil. Sivers sagt es brau­che Mut, um alleine etwas durch­zu­zie­hen und lächer­lich auszu­se­hen. Humor und Selbst­be­wusst­sein scheint dieser Mensch auf jeden Fall zu haben. Sich selbst nicht zu ernst zu nehmen, um verrückte Tanz­be­we­gun­gen auszu­pro­bie­ren. Und vor allem schmun­zeln, wenn dabei etwas schief geht — er das Gleich­ge­wicht verliert und dabei umfällt. Etwas, was wir gerne als Fehler bezeich­nen. Aber gegen Frus­tra­tion und gekränkte Ehre haben wir zumin­dest schon moti­vie­rende Post­kar­ten­sprü­che wie “Aufste­hen, Krone zurecht­rü­cken, weiter­ge­hen.” gefunden.

Darüber hinaus gibt es einige weitere Punkte, die auffal­len: Mr. Rave­some hat durch­aus Talent. Oder zumin­dest seinen eige­nen Stil. Entwe­der hat er schon in einige Festi­vals (Praxis­er­fah­rung) besucht oder gar in Tanz­un­ter­richt (Ausbil­dung) inves­tiert, um die Blicke auf sich zu ziehen. Die akku­ra­ten und ausge­fal­le­nen Körper­be­we­gun­gen mögen fördern, dass die Umste­hen­den ihm zunächst zuse­hen und sich von ihm unter­hal­ten lassen, statt mitzu­ma­chen. Im langen Video­mit­schnitt des Szena­rios wird offen­sicht­lich, dass er noch mehr Freude hätte, wenn ihm sich weitere Menschen anschlie­ßen. Das bietet ihm den Anlass, andere immer wieder zu ermun­tern, zu ihm zu stoßen, mitzu­ma­chen oder etwas Neues zu kreieren. Das heißt, auch wenn er in der Situa­tion im Mittel­punkt steht, geht es ihm nicht allein darum, bewun­dert zu werden, sondern er möchte mit ande­ren seine Freude teilen und hat durch­aus Inter­esse, sein Wissen weiter­zu­ge­ben. Den ersten Inter­es­sen­tIn­nen versucht er sogar einige seiner Tanz­schritte beizubringen.

Woher Ener­gie schöpfen?

Mr. Rave­some schafft es einzelne Menschen kurz­zei­tig zu begeis­tern, aber es ist wie im wahren Leben: Eine Massen­be­geis­te­rung lässt sich selten inner­halb von drei Minu­ten kreieren. Auch das 15 millio­nen­fach geklickte Video hat eine Vorge­schichte. In der Long­ver­sion sieht man mehrere geschei­terte Versu­che, in denen Mr. Rave­some versucht, andere Menschen zum Tanzen zu moti­vie­ren. Auch wenn die Perso­nen stop­pen, um mitzu­ma­chen, danach gehen sie weiter- oder zurück. Viel­leicht liegt es daran, dass sein Stil eben teil­weise doch ausge­fal­len und nicht so einfach nach­zu­ah­men ist? 

Er lässt sich davon wenig beein­dru­cken und bleibt dabei. Sein Motor ist nicht ausschließ­lich daraus genährt, dass es ihm andere von Anhieb nach nach­tun. Zumin­dest vermit­telt er allen mit seinem Handeln die Botschaft “Sei Du selbst und habe Spaß.” Denn: In seinem urei­gens­ten Tun liegt Begeis­te­rung! Seine intrin­si­sche Moti­va­tion und Leiden­schaft sich zu bewe­gen ist da, egal ob er allein ist oder andere dazu über­zeugt mitzu­ma­chen. Er glaubt an sein Handeln und ist ohne abschre­ckende Missio­nie­rung zunächst für sich über­zeugt “das Rich­tige” zu machen. Das daraus resul­tie­rende Durch­hal­te­ver­mö­gen des Initia­tors über­dau­ert das Zögern der ande­ren Besu­che­rIn­nen sich zu beteiligen.

Seine Ener­gie bleibt trotz der Bequem­lich­keit der ande­ren bestehen. Dadurch schenkt er dem Prozess etwas aus meiner Sicht Unter­schätz­tes: Bedenk­zeit für die ande­ren. Zeit für jeden außer­halb seines Radius, zu bemer­ken, dass etwas vor sich geht, dem sie sich viel­leicht anschlie­ßen möch­ten. Zeit für Umste­hende, ihr Hadern zu über­win­den. Per se für Verän­de­rungs­ge­stal­te­rIn­nen nichts Wünschens­wer­tes, weil Zeit auch Geld bedeu­tet. Aber Verän­de­rung braucht auch das. In vielen Firmen, auch in der Poli­tik und im Priva­ten hat der eine Trend den nächs­ten schon schnell einge­holt. Oft bevor sich bei der Masse der Beob­ach­te­rIn­nen ein Beäu­gen in Inter­esse, Bereit­schaft und tatsäch­li­ches Tun umwan­deln kann. 

‘Aber dasweiß Mr. Rave­some natür­lich. And Keep(s) on movin’…

Was möch­ten Sie in Ihrer Orga­ni­sa­tion auf den Weg brin­gen? In welcher Diszi­plin üben Sie Ihr Durch­hal­te­ver­mö­gen? Wir sind gespannt zu hören, worin wir Sie unter­stüt­zen können. Nehmen Sie dazu per E‑Mail oder Tele­fon Kontakt mit uns auf.