Grafik: Karl Bredemeyer

In den letz­ten Wochen habe ich viele Beiträge zu dem Thema „Agili­tät“ gele­sen. Im Brand­eins Inter­view von Judith Muster „Problem­lö­sung oder Lösungs­pro­blem“ (03/2020) habe ich eine inter­es­sante These gefun­den: “Agili­tät (ist) kein Ersatz für gutes Orga­ni­sie­ren“, die ich gerne in diesem Beitrag aufgrei­fen möchte.

Die Autorin hat vor kurzem zu einer klei­nen, aber sehr feinen, virtu­el­len Kamin­ses­sion mit ihr gela­den. Hier konnte ich mit ihr gemein­sam diese und weitere Thesen in mehr Tiefe als durch das bloße Lesen des Arti­kels beleuch­ten (Wer Inter­esse hat, Judith Muster bietet diese virtu­elle Kamin­ses­sion mit Einla­dung zum Dialog am 16.04.2020 noch­mals an). Es ist allge­mein bekannt, dass Agili­tät häufig in Verbin­dung mit der Schnel­lig­keit und der Beweg­lich­keit einer Orga­ni­sa­tion oder dem Abbau von Büro­kra­tie genannt wird. Gar nicht zu selten werden im glei­chen Atem­zug auch Begriffe wie New Work, Scrum, Kanban oder Design Thin­king verwen­det. Aber ist Agili­tät wirk­lich kein Ersatz für gutes Orga­ni­sie­ren in Orga­ni­sa­tio­nen? Was bedeu­tet eigent­lich orga­ni­sie­ren im Kontext einer Orga­ni­sa­tion? Und was bedeutet Agili­tät für Organisationen?

Orga­ni­sie­ren im Kontext einer Organisation

In der Kamin­ses­sion konn­ten wir ergrün­den, dass Orga­ni­sie­ren in Orga­ni­sa­tio­nen vor allem beinhal­tet, „Wie gear­bei­tet wird“ sprich „Welche Regeln werden befolgt?“ oder „Welche Prozesse gelten?“ Es beinhal­tet gleich­zei­tig auch die etablier­ten Kommu­ni­ka­ti­ons­wege und „Welche Perso­nen welche Posi­tio­nen beset­zen?“ Alle diese Bausteine der orga­ni­sier­ten Orga­ni­sa­tion werden durch die Orga­ni­sa­ti­ons­füh­rung zusammengehalten.

Meinen Erfah­run­gen nach wird Agili­tät für einen gewünsch­ten Wandel in allen vier Berei­chen heran­ge­zo­gen, doch nur zu selten wird mit wirk­li­chem Nach­druck und Willen zur Umset­zung in den Orga­ni­sa­tio­nen gear­bei­tet. Es werden zwar im großen Stil zwei- bis drei­tä­gige Work­shops, zum Beispiel zum Frame­work Scrum, veran­stal­tet. Darauf­hin werden auch häufig in einzel­nen oder mehre­ren Umset­zungs­teams die vermit­tel­ten Rollen, Arte­fakte und Events einge­führt. Und zack ist das Team oder die gesamte Orga­ni­sa­tion vermeint­lich Agile. So leicht geht es dann doch nicht, denn ein Agile Mind­set, die Haltung zu diesen Metho­den, lässt sich nicht einfach in die Köpfe der Mitar­bei­ter „verpflan­zen“. Dafür müss­ten neben den Schu­lun­gen noch weitere Maßnah­men unter­nom­men werden, wie das Anpas­sen von Rahmen­be­din­gun­gen in der forma­len Struk­tur der Orga­ni­sa­tion. Getreu dem syste­mi­schen Gedan­ken, dass die Verhält­nisse das Verhal­ten der Menschen formen.

Agili­tät im Kontext einer Organisation

Die schon ange­führ­ten Begriffe, Schnel­lig­keit oder Beweg­lich­keit, werden in der Tat häufig mit Agili­tät in Verbin­dung gebracht. Diese Mehr­deu­tig­keit und Extreme von Agili­tät vari­ie­ren stark von „Situa­tion zu Situa­tion, von Kontext zu Kontext“ (Ortmann, Orga­ni­sa­ti­ons­Ent­wick­lung 2017).  Judith Muster führt hierzu an, dass der Begriff der Agili­tät ein soge­nann­ter “leerer Signi­fi­kant“ ist. Das bedeu­tet, dass Agili­tät durch seine Viel­schich­tig­keit an Bedeu­tun­gen nicht eindeu­tig defi­niert werden kann. Jede Orga­ni­sa­tion muss für sich den Begriff der Agili­tät mit einem ganz persön­li­chen Leben füllen. Und das kann ich nur bestä­ti­gen. In unse­rer Arbeit beim Netz­werk­kno­ten erle­ben wir häufig, das wir gerade mit Teams, oder Orga­ni­sa­tio­nen, zusam­men­ar­bei­ten, die zu schnell losge­lau­fen sind. Das heißt, diese Teams haben sich auf die Entde­ckungs­reise der Agili­tät bege­ben, aber für sich nicht klar genug defi­niert wie der Ziel­zu­stand der Agili­tät mit all seinen Ausprä­gun­gen ausse­hen soll — wie zum Beispiel „welche Rollen benö­tigt meine Orga­ni­sa­tion“ oder „wie tref­fen wir Entschei­dun­gen.“ Unsere Verant­wor­tung als Netz­werk­kno­ten in einer solchen Situa­tion ist es, gemein­sam mit der Orga­ni­sa­tion die Entde­ckungs­reise in die Agili­tät zu planen, damit die Orga­ni­sa­tion das rich­tige Rüst­zeug dabei hat, um die Hinder­nisse unter­wegs über­win­den zu können.

Das Vorge­hen lässt sich natür­lich nicht allge­mein­gül­tig beant­wor­ten, doch meine Kolleg*innen und ich haben in unse­rer Arbeit fest­ge­stellt, dass der nach­hal­tige Erfolg bei der Einfüh­rung von Agili­tät in eine Orga­ni­sa­tion ganz klar davon abhängt, dass die Mitar­bei­ter mit auf die Entde­ckungs­reise genom­men werden. Auf dieser Reise ins Unbe­kannte für die Orga­ni­sa­tion ist nicht nur die Führung als Kapi­tän gefragt, sondern auch die Mitar­bei­ter als Crew. Und genau diese Mann­schaft muss gemein­sam für sich defi­nie­ren, wie diese Entde­ckungs­reise erfolg­reich gemeis­tert werden kann. Getreu unse­rer syste­mi­schen Grund­hal­tung unter­stüt­zen wir im ersten Schritt immer die Mitar­bei­ter, sich selbst und ihr Team besser kennen­zu­ler­nen, schnell spür­bare und sicht­li­che Ände­run­gen durch kleine Tests auf den Weg zu brin­gen. Denn die Verhält­nisse bestim­men das Verhal­ten. Neue Prozesse und Tools lassen sich schnel­ler in den Alltag inte­grie­ren, als das sich der „vermeint­li­che“ Mind­set der Mitar­bei­ter nach ein paar Work­shops ändert. Die Entde­ckungs­reise der Agili­tät hin zur immer lernen­den und anpas­sungs­fä­hi­gen Orga­ni­sa­tion hat viele span­nende Über­ra­schun­gen für jeden Einzel­nen, für Teams und die gesamte Orga­ni­sa­tion in petto.

Es lässt sich also fest­hal­ten, dass Agili­tät in der Tat kein Ersatz für gutes Orga­ni­sie­ren ist. Agili­tät kann einer Orga­ni­sa­tion hinge­gen den Weg zu einer gut orga­ni­sier­ten Orga­ni­sa­tion ebnen. Orga­ni­sa­tio­nen unter­lie­gen ähnlich wie die Konjunk­tur oder der Markt einem zykli­schen Ablauf, häufig auch inner­halb von verschie­de­nen Abtei­lun­gen in völlig unter­schied­li­che Rich­tun­gen. Von Zeit zu Zeit braucht es etwas Leanes oder auch Agiles um in Orga­ni­sa­tio­nen Resi­li­enz aufzu­bauen, von Zeit zu Zeit auch mal etwas weniger.