Was ist das Gute am Fehler? Grafik: Jenny Zenker

Vor einer Weile kam ich mit einem Team­lei­ter ins Gespräch. Um gute Quali­tät zu liefern, brau­che es seitens der Mitar­bei­ten­den Mut Themen anzu­spre­chen, noch bevor sie zu Proble­men mutier­ten, hieß es da. Damit sie geklärt werden können, solange sie noch klein sind. Damit sie schnell lösbar sind. Damit man sie im Auge behal­ten kann oder sie ins Risi­ko­ma­nage­ment einbeziehen.

Woher weiß ein Mitar­bei­ten­der was wich­tig ist und was nicht?

Verstärkt durch die Infor­ma­ti­ons­flut von allen Seiten filtert jede/r von uns vor. In Unter­neh­men lernen Mitar­bei­te­rIn­nen oft impli­zit, den Chef oder dem nächs­ten Vorge­setz­ten so wenig Zeit wie möglich zu nehmen. “Erst nach­den­ken, dann fragen”: Ein Glau­bens- und Leit­satz, den so sicher manche/r in der Schule oder zu Hause hörte. Frage­stel­lun­gen erst­mal selbst lösen, auch wenn sich der Kopf sich schon ausge­drückt wie eine Zitrone anfühlt. Kolle­gIn­nen erst einbin­den, wenn man selbst schon sagen kann: “Nach­dem ich länger herum­ge­rät­selt habe, konnte ich darauf keine Antwort finden. Scheint komple­xer zu sein. Hast Du damit Erfah­rung? Oder einen Tipp für mich?” Wenn sich das Szena­rio wieder­holt und die nächste Schleife “nach oben” zieht, sind wohl­mög­lich schon mehrere wert­volle Tage ins Land gegan­gen, um die Frage zu klären. Den Ausdruck “Hilfe in Anspruch nehmen” gilt es in diesem Szena­rio zu vermei­den, ebenso wie jegli­che mögli­che Asso­zia­tion auf fremde Unter­stüt­zung ange­wie­sen oder unwis­send zu sein.

Hier­ar­chie­ge­lei­tete Kommu­ni­ka­tion leis­tet eine gute Hilfe­stel­lung, damit Führungs­kräfte nicht in jede opera­tive Aufga­ben­stel­lung einge­bun­den sind. Im Ideal­fall wird damit demo­ti­vie­ren­des “Micro­ma­nage­ment” für die Mitar­bei­ten­den, als auch eine inhalt­li­che und zeit­li­che Über­las­tung der Vorge­setz­ten vermie­den. Aller­dings gibt es auch eine Kehr­seite und damit Folge, unse­rer erlern­ten Kommu­ni­ka­tion mit unan­ge­neh­men Frage­stel­lun­gen: Vermeidungsverhalten.

Wann wird es unan­ge­nehm ein Thema auf Arbeit anzusprechen?

Wenn Dead­lines über­zo­gen wurden? Wenn man glaubt einen Fehler began­gen zu haben und dafür Konse­quen­zen befürch­tet oder diese bereits abseh­bar sind? Wenn der Chef dazu neigt, chole­risch oder mit Vorwür­fen zu reagie­ren? Oder ist es per se unan­ge­nehm zu reden, weil man eigent­lich einfach nur in Ruhe seinen Job machen möchte?

Indem die Menschen aus unter­schied­li­chen Grün­den Infor­ma­tio­nen nach oben (in ande­ren Situa­tio­nen “nach unten”) filtern, errei­chen gege­be­nen­falls rele­vante Infos nicht recht­zei­tig den Entschei­dungs­trä­ger oder eine Persona, die die Auswir­kun­gen mit verant­wor­tet, mit deren Hilfe und verhält­nis­mä­ßig wenig Aufwand umge­steu­ert werden könnte.

Ideen für eine lern­ori­en­tierte Kommunikation

Wir sammel­ten in einem Brain­stor­ming zusam­men mit einer Kolle­gin aus dem Team, was sie tun können, um regel­mä­ßige Kommu­ni­ka­tion zu üben. Ich war über­rascht wie schnell wir konkrete Ideen zum Vertes­ten gefun­den hatten: Regel­mä­ßig kurze Arbeits­ko­or­di­na­ti­ons­tref­fen in Anleh­nung eines Daily Stan­dup sowie ein Format, was die Kolle­gIn­nen ermun­tert, ihre Projekt­er­fah­run­gen auszu­tau­schen, um somit neben­bei einen Beitrag zu einem locke­re­ren Umgang mit Fehlern, einer soge­nann­ten Fehler­kul­tur, zu leisten.

Und plötz­lich waren wir damit vom Thema Kommu­ni­ka­tion zum Thema Fehler machen (dürfen) gerutscht. Wir reflek­tier­ten in dem Zusam­men­hang das Wort selbst. Der Abgleich, wer was unter dem Begriff Fehler versteht bzw. was eine Person damit für Erfah­run­gen verbin­det, war ein erster Schritt, um zu verste­hen, warum Sorge über mögli­che nega­tive Konse­quen­zen zuerst im Blick­punkt gerie­ten und nicht, wofür der Fehler eine Einla­dung sein kann: Ein Hinweis zur Verhal­tens- oder Prozess­än­de­rung. Kein Aufruf zur Schuldigensuche.

Impulse für eine lern­ori­en­tierte Denkhaltung

Die “oberste Direk­tive”, die sich als Einstieg für Retro­spek­ti­ven gut eignet, erin­nert uns beim Analy­sie­ren ein posi­ti­ves Menschen­bild zu wahren: “Unab­hän­gig davon was wir entde­cken werden, verste­hen und glau­ben wir aufrich­tig, dass in der gege­be­nen Situa­tion, jede/r mit dem verfüg­ba­ren Wissen und Ressour­cen und seinen indi­vi­du­el­len Fähig­kei­ten, sein Bestes getan hat.” (Norm Kerth, Project Retro­s­pec­ti­ves: A Hand­book for Team Review)

In einer Xing-Diskus­sion las ich, ein Fehler indi­ziere rein wört­lich, dass etwas “fehlt”. Eine Lücke, die geschlos­sen werden will. Oder die Erkennt­nis, dass ein Zustand nicht ideal ist.

Wenn wir von Fehlern und Lücken spre­chen, haben wir dann die Vorstel­lung davon, dass es am Ende einen voll­ende­ten Ziel­zu­stand gibt? Was, wenn es den in der letz­ten Konse­quenz gar nicht gibt?

Und was wäre, wenn wir durch eine ressour­cen­ori­en­tierte Betrach­tungs­weise erkann­ten, dass wir natür­li­cher­weise immer wieder stol­pern, uns aber genau das ermög­licht immer weiter zu wach­sen und uns weiter zu entwi­ckeln? Sollte es dann nicht Fehler­kul­tur sondern viel­mehr Lern­kul­tur heißen?

Nur, wenn ich den Status Quo unter­su­che und meine Erkennt­nis teile, kann ich entwi­ckeln, was es zukünf­tig zu verän­dern gilt.

Bei der Verwen­dung des Begriffs “Fehler” möchte der Spre­chende in eini­gen Fällen ausdrü­cken, dass jemand etwas mangel­haft umge­setzt hat. Viel­leicht, weil Vorga­ben exis­tie­ren, die nicht einge­hal­ten wurden oder weil es dem subjek­ti­ven Empfin­den entspricht. Äußere ich letz­te­res durch ein “Das hast du schlecht gemacht”, erzeuge ich eher ein unwoh­li­ges Gefühl beim Gegen­über, anstatt einer Grund­lage, auf der eine konstruk­tive Verän­de­rung möglich ist.

Die Kompe­tenz zu arti­ku­lie­ren was mir fehlt, um damit eine Erkennt­nis für mich und die andere Person zu schaf­fen, beein­flusst die Atmo­sphäre in der Verbes­se­rung gedei­hen kann. Bedach­tes Feed­back ist ein wirkungs­vol­les Tool ohne Wertung auszu­drü­cken was mir wich­tig ist: “Mir hat zum Ende des Tref­fens eine Zusam­men­fas­sung der beschlos­se­nen Punkte gefehlt.”

Noch besser: Eine Formu­lie­rung dessen, wie ich es mir anders wünsche. Die Königs­dis­zi­plin: Ich entscheide mich, als Vorbild voran­zu­ge­hen, es anders zu machen und kommu­ni­ziere dabei auch die Inten­sion meines Handelns: “Da es mir wich­tig ist am Ende des Meetings eine Zusam­men­fas­sung der beschlos­se­nen Punkte für das Proto­koll abzu­glei­chen, möchte ich dafür zum Ende hin gerne fünf Minu­ten freihalten.”

Wer den Netz­werk­kno­ten kennt, hat bestimmt schon mal die Frage gele­sen: Was ist das Gute am Problem? Ich würde sagen: Das Gute am Fehler ist die konkrete Einla­dung zum Lernen und Ändern.

Im genann­ten Beispiel wurden in der Umset­zung in der Praxis aus dem Daily ein Weekly und das Format zum regel­mä­ßi­gen Erfah­rungs­aus­tausch – das wurde bisher noch nicht geschaf­fen. Das darf auch so sein. Wir dürfen uns einge­ste­hen, dass nicht alles in die Umset­zung kommt, was wir uns wünschen. Ideen brau­chen Platz zum Wach­sen. Ener­gie kann auch entste­hen, wenn ein Raum zu klein ist. Daher vertrauen wir darauf: Wenn der Schuh etwas stär­ker drückt, dann traut sich jemand, auch barfuß, loszugehen.

Aus Fehlern zu lernen, dazu halten wir uns unter­ein­an­der immer wieder an. Daher noch ein Praxis­tipp zum Ende, gerade weil Fehler die Ange­wohn­heit haben in unpas­sen­den Momen­ten aufzu­tau­chen: Atmen nicht vergessen.