Entschei­dun­gen herbei­zu­füh­ren ist eine rele­vante fast tägli­che Aufgabe für selbst­or­ga­ni­sierte Teams. In unse­rer mehr­tei­li­gen Blog­se­rie “Parti­zi­pa­tiv Entschei­den” beleuch­ten wir verschie­dene Wege, wie Teams ihre Projekte ziel­ge­recht navi­gie­ren können. (Teil 1)

Entschei­dun­gen nach dem Mehr­heits­prin­zip werden von Teams manch­mal als träge empfun­den. Grafik: Karl Bredemeyer

Wer schnelle Entschei­dun­gen eines Chefs gewohnt ist, dem mag der Prozess einer gemein­sa­men Entschei­dungs­fin­dung zunächst zäh und vor allem unnö­tig vorkom­men. Doch in der komple­xen bis chao­ti­schen VUCA-Welt ist es ratsam, sich nicht auf die Entschei­dung aus einer Perspek­tive zu verlas­sen, sondern diese in Exper­ten­teams zu fällen. Und auch in Teams können Entschei­dun­gen durch gere­gelte Abstim­mungs­ver­fah­ren effi­zi­ent getrof­fen werden. Ausschlag­ge­bend dafür ist, für welches man sich entschei­det. Wir stel­len auf unse­rem Blog die verschie­de­nen Möglich­kei­ten vor, um einen Über­blick zu bieten und die passende Wahl tref­fen zu können.

Selbst­or­ga­ni­sierte Teams stehen vor allem zu Beginn ihrer Zusam­men­ar­beit vor der Frage, wie sie Entschei­dun­gen tref­fen. Zunächst ist es für die meis­ten eine neue Situa­tion inner­halb der gesetz­ten Commit­ments (z.B. von User Stories inner­halb eines Sprints) frei zu agie­ren und bestim­men zu können. Denn nun heißt es unter­ein­an­der und mitein­an­der entschei­den, wie man ans Ziel kommt. Das kann vor allem zur Heraus­for­de­rung werden, wenn das Team cross-funk­tio­nal und divers gemischt ist. Mit unter­schied­li­chem “Fach­blick” oder Vorprä­gung, verbin­den sich durch­aus verschie­dene Heran­ge­hens­wei­sen oder Denk­hal­tun­gen, um Frage­stel­lun­gen zu begegnen.

Jeder erin­nert sich noch an die Wahl des Klassensprechers

Heute widmen wir uns Entschei­dun­gen, wie sie nach dem Vorbild poli­ti­scher Demo­kra­tie gekannt und nach­ge­ahmt werden. Neben der auto­ri­tä­ren Entschei­dung von Erwach­se­nen ist die Mehr­heits­ent­schei­dung wohl eines der ersten parti­zi­pa­to­ri­schen Entschei­dungs­ver­fah­ren, die wir als Kinder kennen­ler­nen. Stehen mehrere Kandi­da­ten zu Auswahl, schreibe ich meinen Favo­ri­ten auf den Zettel oder stimme per Hand­zei­chen dafür ab. Wie etwa bei der Wahl zum Klassensprecher.

“Wer ist für Sabine? Wer ist für Klaus? Wer ist für Hanne­lore?” könnte in einem Scrum-Team heißen: “Wer ist dafür, dass Tasks nur alleine bear­bei­tet werden sollen? Wer ist dafür, dass Tasks maxi­mal zu zweit bear­bei­tet werden sollen? Wer ist dafür, dass Tasks von x‑beliebig vielen bear­bei­tet werden dürfen?” Der oder die Kandidat/in bzw. die Option mit den meis­ten Stim­men bekommt die Zusage. Bei Gleich­stand entschei­det das Los oder es gibt eine Stich­wahl. In fort­ge­schrit­te­ne­ren Verfah­ren stimme ich jedem Vorschlag aktiv zu, lehne ihn ab oder enthalte mich.

Nur muss klar sein, was “die Mehr­heit” bedeu­tet. Denn davon gibt es unter­schied­li­che Vari­an­ten, mindes­tens vier, die wir an einem Beispiel vermit­teln. Gehen wir davon aus, wir arbei­ten in einem Team mit acht Personen.

  • “Tasks nur alleine bear­bei­ten” bekommt in der Abstim­mung 2 Stimmen
  • “Tasks dürfen zu zweit bear­bei­tet werden” 3 Stimmen.
  • 2 Kolle­gIn­nen stim­men dafür, dass die “Arbeit mit mehre­ren Perso­nen an einem Task möglich” sein soll und
  • eine Person enthält sich.

Bei der Fest­le­gung auf eine rela­tive Mehr­heit, macht “Tasks zu zweit zu bear­bei­ten” das Rennen. Bei dieser Vari­ante kann leicht eine Mehr­heit erlangt werden. Wir können gleich­zei­tig fest­stel­len, dass fünf Kolle­gIn­nen und damit die Hälfte des Teams eigent­lich ande­rer Meinung waren. Daher ist der Gedanke eine Mehr­heit erlangt zu haben rela­tiv. Wie sie mit dem Ergeb­nis wohl umgehen?

Für die einfa­che Mehr­heit hätte die Option “Tasks dürfen zu zweit bear­bei­ten” mehr Zustim­mung, gebraucht als die beiden ande­ren Optio­nen zusam­men. Um sich in der Gruppe durch­zu­set­zen, wären das zum Beispiel vier Stim­men gegen­über zwei und einer Stimme der jeweils ande­ren Optio­nen (bei einer Enthal­tung). Diese Vari­ante benö­tigt also bereits etwas mehr Substanz in der Grundgesamtheit.

Wem die Trag­fä­hig­keit der Entschei­dung durch eine stabile Mehr­heit im Team noch wich­ti­ger ist, sollte auf die abso­lute Mehr­heit setzen: Dafür bräuchte “Tasks zu zweit zu bear­bei­ten” 50%+ 1 Stimme, also mindes­tens fünf Stim­men, um sich durchzusetzen.

Bei einer quali­fi­zier­ten Mehr­heit soll für ein vorher fest­ge­leg­ter Anteil erreicht werden. Das könn­ten z.B. 75% sein, die sich für die finale Option ausspre­chen. In unse­rem Beispiel müss­ten dann sechs von acht Perso­nen sich für den Vorschlag ausspre­chen. Eine Extrem­form der quali­fi­zier­ten Mehr­heit ist das Einstim­mig­keits­prin­zip, bei dem 100%, also das ganze Team, zustim­men müssen.

Was sind die Klip­pen in der Praxis und wie begeg­net man ihnen?

Je mehr Enthal­tun­gen es gibt, desto mehr verwäs­sert das Commit­ment des Teams hinter der Entschei­dung, denn sie werden zumeist nicht in die Grund­ge­samt­heit einbe­zo­gen. Enthal­ten sich beispiels­weise vier Perso­nen der Abstim­mung, bilden drei Fürspre­cher bereits eine abso­lute Mehr­heit. Ebenso wie bei der einfa­chen Mehr­heit besteht das Risiko, dass nicht alle hinter der Entschei­dung stehen, wie es zunächst durch eine schnell errun­gene Abstim­mung scheint. Das wird vor allem dann deut­lich, wenn es um die Umset­zung der Entschei­dung geht und Perso­nen, die dage­gen gestimmt oder sich enthal­ten haben, sich nicht für die Einhal­tung verant­wort­lich fühlen.

Aufgabe eines Scrum Masters oder Agile Coach kann es sein, zu beob­ach­ten und zu erfra­gen, ob vor allem hinter wieder­hol­ten Enthal­tun­gen Ängste oder Stim­mun­gen wie Gleich­gül­tig­keit und Verdros­sen­heit stecken und was das für Auswir­kun­gen haben kann. Weiter­hin kann er oder sie dafür sorgen, dass Einwände bespro­chen und vor einer Abstim­mung gehört werden, um die Entschei­dungs­qua­li­tät zu fördern.

Entschei­dun­gen nach dem Mehr­heits­prin­zip werden von Teams manch­mal als träge empfun­den, auch wenn sie einfach zu hand­ha­ben und schnell umsetz­bar sind. Welche ande­ren Entschei­dungs­ver­fah­ren es gibt, die stär­ker auf die Trag­fä­hig­keit der Gruppe oder ihre Effi­zi­enz setzen, stel­len wir in den kommen­den Wochen in unse­rem Blog vor.